Fearless Male Mobilization
Immer mehr Menschen wird klar, dass wir nicht einfach so weiter machen können, dass wir die Zukunft nicht linear aus der Vergangenheit ableiten können und dass wir einen systematischen Wandel benötigen. Zugegeben – noch nicht allen ist das klar, leider. Gerade wenn wir auf unser Konzept des Zusammenlebens und Zusammenarbeitens schauen, wird jedoch schnell deutlich, dass der Wandel auch das Konzept der Geschlechterrollen umfassen wird. Wie wir arbeiten, welche Rolle der Arbeit in unserem Leben zukommt, wie wir diese verteilen wollen, was wir unter Teilhabe verstehen, ist immer ganz eng mit unseren Rollenmustern und Geschlechterrollen verbunden. Immer (fast immer) wenn der Betrachtungsrahmen so groß wird, sind Frauen die Betroffenen, diejenigen, die weiterhin die Sorge- und Familienarbeit leisten, die versuchen, im Konzept des Patriarchalen einen Blumentopf zu gewinnen. Sie sind aber auch diejenigen, die für eine Neugestaltung der Rahmenbedingungen eintreten. Doch damit New Work, Gleichberechtigung und all die schönen Konzepte und Buzz-Words auch nur annähernd eine Chance haben, in der Zukunft gelebte Realität zu werden, braucht es das Mitwirken von Männern. Robert Franken, Feminist, Speaker und Experte für Diversity und Inklusion, gehört zu den wichtigen männlichen Stimmen in Deutschland.
Im Podcast-Interview erörtert er mit mir, wie mehr Männer in den Diskurs um Gleichberechtigung und Teilhabe einbezogen werden können. An welchen Stellschrauben gedreht werden muss und warum die Erweiterung des Blickwinkels für den Feminismus, für die Frauen und besonders für Männer so wichtig ist.
„Wenn wir Männer danach befragen, was ihnen an der heutigen Arbeitswelt, dem System, in dem wir wirtschaften, nicht gefällt und was sie sich stattdessen wünschen würden, zeichnen sie mehrheitlich ein humanistischeres, inklusiveres Bild, in dem sie selbst viele Aspekte des Lebens erfahren und ausprobieren, die ihnen im patriarchal geprägten System verwehrt bleiben. Komisch, denn letztlich unterscheidet es sich nicht so riesig von dem, was der Feminismus fordert. Nur dass im aktuellen, von Männern geprägten Narrativ des Feminismus selbige auf der Verliererseite stehen. Obwohl die Forderung sich auf 50% beziehen und man(n) folgerichtig kaum von einem Verlust sprechen kann, wenn gleichberechtigte Teilhabe das Ziel ist”, wie Robert im Interview anmerkt.
Robert Franken
Diversity und Inclusion
Feminist, Speaker und Experte für Diversity und Inklusion
Privilegien bergen mindestens auf zwei Ebenen Schwierigkeiten für die Privilegierten. Zum einen müssen die eigenen Privilegien erkannt werden, wofür es sowohl ein Mindestmaß an Selbstreflektionsvermögen benötigt, als auch ein gewisses Einfühlungsvermögen- oder Empathievermögen mit der nicht-privilegierten Perspektive. Im Anschluss an den theoretischen Erkenntnisgewinn braucht es zum anderen einen Drang nach Umsetzung oder Veränderung und vielleicht auch den Willen zu einer Perspektivänderung.
“Einerseits fällt es schwer, sich mit der eigenen Privilegiertheit auseinanderzusetzen. Auch weil darin ganz oft ein immanenter Vorwurf ist oder ein solcher empfunden wird. Ich habe neulich gelesen – und finde es sehr hilfreich – statt von einem Privileg von einem strukturell eingebetteten Vorteil zu sprechen”, erklärt Robert Franken, Feminist, Berater und Speaker und Experte für Diversity und Inklusion, und führt aus: “Damit kommt man gar nicht so sehr in diese Vorwurfsdebatte, sondern lenkt gleich den Blick auf das, was aus meiner Sicht essenziell ist, nämlich auf das System statt aufs Individuum. So wird versucht, die systemischen Rahmenbedingungen aufzuzeigen, die eben dazu führen, dass bestimmte Menschen sich in unseren Systemen wie Unternehmen oder auch in unserer Gesellschaft leichter tun, voranzukommen, sich leichter tun, bestimmte Positionen inne zu haben.
Geben wir dem System mal einen Namen, damit es leichter wird darüber zu sprechen: Lasst uns über das Patriarchat reden. Wenn ich innerhalb eines patriarchalen Systems als Mann lebe, bin ich automatisch im Vorteil. Ich profitiere automatisch von diesem System. Man nennt es patriarchale Dividende“, verdeutlicht Robert. „Es ist für Menschen wie mich gemacht, wurde von Menschen wie mir gemacht und seit Zeiten von Menschen wie mir weiter getragen. Ebenso wie das System Rassismus. Ich profitiere als weißer Mensch automatisch innerhalb von rassistischen Systemen, auch wenn ich das System Rassismus per se ablehne. Und wenn ich das weiß, dann ist da nicht unbedingt gleich der individuelle Vorwurf, sondern es kann eher eine Neugier entstehen, um zu verstehen oder verstehen zu wollen, wie diese Systeme wirken, wo sie ausschließen und wo ich unter Umständen eine Chance habe, an ein paar Rädchen zu drehen, damit die Marginalisierung und Diskriminierung weniger wird.“
Der Umgang mit Vielfalt, also mit Menschen, die völlig anders sind als man selbst, macht erstmal überhaupt keinen Spaß
„Wenn es heißt ’Wir brauchen mehr Frauen in der Führung’, fühlen sich diejenigen, die überproportional noch diese Macht- und Führungspositionen innehaben, eher als Teil des Problems. Dann sind wir unmittelbar in einer Verlustdebatte. Um aus der Debatte wieder rauszukommen, scheint es erheblich einfacher, von vornherein eine Art gemeinsamen Gegner zu definieren, auf Ebene des Systems“, erklärt Robert Franken, Feminist, Berater und Speaker und Experte für Diversity und Inklusion. „Ich kenne viele Männer, die gesundheitliche, finanzielle, partnerschaftliche oder sonstige Probleme haben.
Wenn man die jetzt bitten würde zu beschreiben, wie das System sich manifestiert unter dem sie leiden, dann könnte man da Patriarchat drüber schreiben. Das heißt: Viele leiden offensichtlich unter einem ähnlichen System und darin steckt für mich ein Schlüssel: Dieses System gemeinsam zu verändern. Dann bin ich automatisch ein Teil einer Lösung und habe auch das Gefühl, ich spiele dort irgendwo eine Rolle jenseits von “Weißer Mann muss weg”. Denn – die Frage sei auch erlaubt – was haben wir davon, wenn wir das einfach nur mit einer jüngeren oder älteren, weißen Frau das Geschlecht ersetzen. Da verändern wir unsere Systeme auch nicht signifikant.
Aber was heißt Male Mobilisation eigentlich? Ich glaube, dass diese Mobilisierung bei Männern vor allem in die Richtung der Wahrnehmung dieses Systems gehen muss. Deswegen halte ich es für so wichtig, dass wir viel mit und unter Männern über unsere Systemerfahrungen sprechen: Was machen diese Systeme mit uns? Wie geht es uns denn damit? Ich glaube, dass wir schnell identifizieren werden, dass wir uns aus einem sehr engen Rollenrepertoir bedienen“, sagt Robert Franken, Feminist, Berater und Speaker und Experte für Diversity und Inklusion. „Hierin liegen der Schlüssel und die Antwort auf die Frage ’Was habe ich (als Mann) eigentlich davon, bei der Veränderung dieser System zu helfen?’
„Der Umgang mit Vielfalt, also mit Menschen, die völlig anders sind als man selbst, macht erstmal überhaupt keinen Spaß. Wer aus seiner Komfortzone rausgeht, kommt irgendwann in ein Lernen. Aber was unter Vielfalt und Diversity im Unternehmenskontext momentan gern transportiert wird, ist ein sehr buntes und sehr fröhliches Bild. Diese Botschaft finde ich sehr schwierig, weil es unfassbar anstrengend ist, sich mit Menschen auseinanderzusetzen, die nicht so sind wie man selbst. Das kennen wir aus diesen typisch monokulturellen Führungsebenen: Da kennt man sich, da werden schnelle Entscheidungen getroffen, da vertraut man sich bis zu einem gewissen Grad, man fühlt sich in dieser Ingroup, wie in so einer gut geölten Maschine. Und alles, was anders ist, stört erstmal. Ich sage gern: Diversity sucks”, erläutert Robert Franken und fügt an: „Das heißt, es ist wahnsinnig viel Arbeit und Aufwand notwendig, um Vielfalt in positive Wirkung zu bringen. Dann bin ich beim positiven Erleben, aber bis ich dort bin, ist es sehr mühsam und das ist etwas, was in dieser ganzen Debatte ganz oft sehr stark ins Hintertreffen gerät, unterschätzt wird nicht benannt wird. Und was folglich zu ganz viel Frust individuell, aber auch auf organisationaler Ebene führt.”
Wir brauchen die Männer, die ihren negativen, patriarchalen Erfahrungen einen Namen geben
Diese fortschrittlichen Gespräche werden gerne mit und unter Männern geführt, die eigentlich kurz davor sind, Großvater zu werden. Aber leider nicht mit den Jüngeren, die es aber bräuchte, damit sich wirklich etwas verändert. „Theoretisch müsste man ja sogar noch weiter vorne anfangen, was die Sozialisation von Kindern angeht, weil man ja jetzt schon bestimmte, signifikante Rollenunterschiede zwischen Schule und Kindergarten feststellen kann”, erklärt Robert Franken und führt aus: ”Es gibt diesen Begriff der hermeneutischen Ungerechtigkeit, der beschreibt das Fehlen einer Begrifflichkeit oder einer Definition für bestimmte Dinge. In dem Moment, wo es dann diesen Begriff gibt, sind die Menschen auch in der Lage, sich im Kontext dieser Begrifflichkeiten zu äußern. Ein gutes Beispiel ist das Thema Sexual Harassment. Bevor es diesen Begriff gab, hatten Menschen (in der Regel Frauen), die eine solche Negativerfahrung gemacht haben, sie entweder als Vergewaltigung oder als Sex bezeichnen können. Wirklich richtig einordnen lässt sich das, was dort passiert ist, eben erst seit es diese Begrifflichkeit gibt. Wir brauchen Begrifflichkeiten für männliche Systemerfahrungen, die uns dann eine gemeinsame Ebene eröffnen. Wo wir unsere Sprachlosigkeit äußern können, wo wir unsere Gefühle besser einordnen können. Ich habe leider noch keinen erfunden, wir haben da ab und zu mal ein bisschen rumexperimentiert. Vielleicht braucht es dafür auch einen öffentlichen Diskurs mit Männern, die bereit sind, sich zu äußern. Das ist ja die nächste Hürde, die Bereitschaft, die eigene Verletzlichkeit an der Stelle zu zeigen und auch zu verstehen, dass sie etwas zurückbekommen, wenn sie in der Lage sind, sich da sich da zu öffnen.”
„Bestimmte Dinge brauchen aber auch länger. Also wenn man sich anguckt, welche Paar-Konstellationen sich ergeben, dann ist der moderne Mann, der vielleicht so eher in der Konzeption Caring Masculinity verortet ist, nicht unbedingt auf der Top Five Liste der gesuchten attraktiven Partner. Da wird sich vieles entwickeln müssen. Wir benötigen ein paar First-Mover, auch wenn das Spektrum in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten breiter geworden ist. Aber in der Übergangsphase für die, die jetzt in Macht- und Führungspositionen sind und gesellschaftliche Veränderungen vorantreiben können, für die brauchen wir Zugänge, für die brauchen wir ein eine Diskurseinladung. Und zwar ohne sie und ihre Erfahrungen allzu sehr wieder in den Mittelpunkt zu rücken, denn sie bekommen ja schon systemisch genug Aufmerksamkeit. Das ist vielleicht der schmale Grad, auf dem wir wandeln müssen. Männliche Systemerfahrungen thematisieren, ohne sie über Gebühr wieder in das Zentrum der Debatte zu stellen.”
Fearless Male Mobilization
Robert Franken, Feminist, Speaker und Experte für Diversity und Inklusion, spricht mit mir im FearlessCulture Podcast Feminismus und Männer, Gleichberechtigung, einen systematischen Wandel und einen neuen Diskurs.
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Links
Robert Franken
Robert Blogpost Der Schlüssel zu Gleichberechtigung sind Männer
Die Initiative Male Feminists Europe
Die Episode 061 „Fearless Bandbreite“ mit John Aigner könnt ihr bei Apple Podcasts, Google Podcast oder natürlich auch bei Spotify hören.
Medien
Sinnliches Wissen – Eine schwarze feministische Perspektive für alle (2021) von Minna Salami das Buch bei Amazon die englische Originalfassung Sensuous Knowledge – A Black Feminist Approach for Everyone (2020) bei Amazon
Die australische Comedian Hannah Gadsby spricht auf der The Hollywood Reporter’s Women In Entertainment 2018 Gala über „gute Männer“, die über „schlechte Männer“ sprechen, Frauenfeindlichkeit und zu ziehende Grenzen. Dringend anschauen.